48 Haiku – traditionell, aber ohne Jahreszeitenbezug – und dabei humorvoll: typisch Georges Hartmann!
Erscheinungsjahr: 2016
Rezension
Rezension von Rüdiger Jung
Wenige Worte reichen Georges Hartmann, um menschliche Grundsituationen zu evozieren. Da gibt es ein ebenso schlichtes wie ergreifendes Liebesgedicht:
Die Morgensonne
steigt glutrot in den Himmel.
Mit dir wach werden.
Ein Moment im Leben eines Kindes, der an Bedeutung kaum zu überschätzen ist:
Der Kleine im Sandkasten
spricht deutlich
sein erstes Nein.
Das eindringliche Einfühlungsvermögen für einen hinter Gittern:
Straßenlärm bricht sich
am vergitterten Fenster.
Noch zehn Jahre.
Schließlich die Begegnung mit dem Tod, die das Leben in Frage stellt und zu-gleich aufs Äußerste intensiviert:
Weißt du noch … damals?
Die Stille über dem Grab
entführt mich der Welt.
Georges Hartmann – und allein das schon versichert ihn meiner uneinge-schränkten Sympathie! – ist einer, dem ein Baum mehr bedeutet als sein eige-nes Auto:
Zwei Dellen im Blech!
Hoffentlich fällt man dich nicht,
Kastanienbaum.
Ein Baumleben lang
in den Himmel gewachsen.
Jetzt bloß noch Sperrholz.
Auch bei den Tieren scheint es mir, dass er sie nicht nur oder in erster Linie “zum Fressen gern” hat:
Fünfzehn Mastgänse
hängen im Metzgerladen
darunter Elsa.
Der Vorname “Elsa” wirkt heilsam irritierend und verstörend. Namen sind nicht nur Schall und Rauch, sie begründen eine (nicht unbedingt nur zwischen-menschliche!) Beziehung. Ich erinnere mich eines Fernsehkrimis, in dem ein Kaninchenzüchter einem Tier einen Namen gab, von dem er genau wusste, dass er es niemals schlachten würde.
Mit dem letzten seiner Haiku geht Georges Hartmann noch einen Schritt wei-ter: da haben nicht nur Pflanzen und Tiere, da haben selbst Dinge Rechte, die ihnen Menschen nicht ungestraft nehmen und brechen:
Auf dem Dachboden
betrügt man das Schaukelpferd
ums Kinderlachen.