Heidelore Raab

behutsam zärtlich – Haiku

Erscheinungsjahr: 2020

Mit einem Vorwort von Rüdiger Jung. Hardcover, 13,5×21,5cm, 116 Seiten. Druckerei Haider, Schönau im Mühlkreis. sine anno [2020]

Inhalt:

Weitere Informationen

Textproben, Inhaltsverzeichnisse, Bibliographische Angaben, Bezugsquellen (Nicht alle Elemente gleichzeitig vorhanden)

„Teich in Scherben“ – in drei Worten der ganze Winter. Ohne dass da erst verbale Zaunpfähle – Eis, Frost, Schnee, Winter – winken müssten. Begnadete, geübte Haiku-Dichter haben das Sensorium und die Prägnanz, derer es für solche Passgenauigkeiten bedarf. Dieser Fraktion ist Heidelore Raab seit Jahren schon zuzurechnen. (Rüdiger Jung auf der Homepage des OESV 2021)

Erscheinungsjahr: 2020

Rezension

Das schlicht gehaltene Design des Haikubandes „BEHUTSAM ZÄRTLICH“ wirkt ästhetisch sehr ansprechend. Das Cover ist rundherum in abgedunkeltem Cremeweiß gehalten. Die Vorderseite ziert ein in Hellgrün gemaltes Yin-Yang-Symbol. Der hellere Anteil der Symbolfläche ist in Cremeweiß belassen. Zur Abgrenzung zwischen Hintergrund und heller Symbolfläche windet sich in hellgrüner Farbe um das ganze Symbol kreisförmig ein Ast, der links neben dem Symbol ebenso grüne Blätter treibt. Wenn die Blätter nicht von hellgrüner Farbe wären, würde ich auf blühende Wildklematisblüten tippen.
Darunter stehen eingemittet drei Zeilen: Im selben Hellgrün gesetzt, wie das Symbol gezeichnet ist, Autorenname und Untertitel; zwischen diesen der Titel in einem dunklen Rotbraun. Die Wahl der Schrift und die Wahl, diese drei einzigen Texte der Buchvorderseite durchgängig in Großbuchstaben zu setzen, bewirken schlanke, wohlgeformte Bewegungen.
Das Impressum ist ebenso zurückhaltend wie die Buchgestaltung. Wenn die Zurückhaltung beim Cover sehr ansprechend wirkt, fehlen beim Impressum Hinweise auf die verwendeten Schriftarten, welche ihren Anteil leisten und ihrerseits dem Buch zu seinem sehr ansprechenden Eindruck verhelfen.

Jeweils drei Texte stehen rechtsseitig auf hundert Seiten des Buches. Ohne dass im Buch Kapitel angegeben wären, ergibt sich beim Lesen folgende Themenabfolge: Winter – Frühling – Corona – Frühling – Sommer – Herbst – Winter. Die ersten drei Texte stehen auf Seite 11:

Knirschender Schnee,
funkelnde Kristalle rieseln
auf frische Spuren

Zerbrechliche Stille –
filigrane Blüten
zaubert der Frost

Dunkles Gezweig,
die weiße Schrift des Schnees –
Sichelhoffnung Mond

Beim ersten decken nachrieselnde Schneekristalle Spuren zu. Hier ist offen formuliert. Da der Text in einem Haiku-Band steht, meine ich, ist der Leser aufgefordert, nicht beim Text als einem Naturgedicht stehen zu bleiben, sondern dessen Haiku-Charakter zu entdecken.
Wie sich bei der Lektüre durch das auch mit dem Seitenspiegel ästhetisch gestaltete Buch zeigt, finden sich viele Naturbeschreibungen, die sich auf eine menschliche Situation übertragen lassen. Zum Beispiel schon auf der folgenden Textseite 13:

In dieser Raunacht
erdrückt vom Schnee –
alter Apfelbaum

Dieses Beispiel zeigt formell die auch in diesem Buch häufig anzutreffende Struktur, dass die erste oder die dritte Zeile von den beiden anderen durch einen Gedankenstrich abgesetzt ist.
Einige Texte sind im 5-7-5-Schema gesetzt. Die Autorin bringt aber oft zum Ausdruck, dass Abweichungen ebenso sehr angezeigt sein können. Ein solcherart gelungenes Senryu findet sich auf Seite 55:

Im Telefonbüchlein
Mamas Nummer –
noch immer

Dass dieser Text seinen Platz mitten im Sommer hat, wirft vielleicht Fragen auf. Was hat sich die Autorin dabei gedacht? War es Sommer, als sie diese Entdeckung machte? Oder haben wir zu akzeptieren, dass der Tod zu jeder Jahreszeit präsent sein kann?

Wie dem auch sei: Die erfahrene Autorin legt eine ästhetisch wohlgefällig produzierte Haikusammlung in unsere Hände. Viele der Texte sprechen für die aufmerksame Naturbeobachtung. Für den Humor der Autorin spricht meiner Meinung nach beispielsweise ein Haiku auf Seite 27:

Tausend Kirchenbesucher
verschlafen die Messe –
Mausohrkolonie

Ein gutes Gefühl für die aktuelle Situation beweist die Autorin in ihren Corona-Texten auf den Seiten 37 bis 45. Dass sie sich eine Seite wie die Seite 33 mit drei jeweils durchgehend sich reimenden Kinderversen leistet, könnte als Stilbruch gewertet werden. Ich möchte sie, anbetrachts einer ausführlichen Autorin-Bibliografie am Ende des Buches, als behutsam zärtliches Schelmenstück betrachten.

Peter Rudolf, in: SOMMERGRAS Nr. 132

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