Horst Ludwig (in: Vierteljahresschrift 63)

Christus manisonem bebedicat

Zu Hause ist der 6. Januar ein richtiger Feiertag: Heilige Drei Könige. Alle, auch die nicht christlich eingestellten, können ihn als Festtag erleben. Es ist zwar kein Wochenendsonntag, ihm geht kein Sonnabendritual voraus, aber die Tradition hat ihn so geheiligt, daß auch heute noch an diesem Tage alles Werktägliche ruht. In einigen Gegenden ziehen die Sternsinger von Haus zu Haus, drei Kinder verkleidet als die Drei Könige – einer mit durch Ruß oder Schuhkrem geschwärztem Gesicht -, und sie singen unter ihrem selbstgemachten Stern Weihnachtslieder und bekommen dafür Weihnachtsgebäck oder Früchte wie Äpfel, Apfelsinen oder eine Handvoll Nüsse. (Aber Geld wäre ihnen natürlich lieber.)
Bei uns in Oberschlesien zog früher der alte Priester mit drei vier Ministranten unterm Kruzifix mit Weihrauch und Weihwasser und Meßglöckchengeklingel zu jedem Haus des Dorfes, um seinen Bewohnern den Dreikönigssegen zu bringen. Nach
dem kurzen Ritual boten ihm die Leute oft einen Schnaps an, den er aber lächelnd ablehnte, – worauf ganz bestimmt der älteste der Ministranten sagte, ach, er könne wohl schon einen vertragen, – worauf ihn die Augen des Priesters hinter den runden Brillengläsern anfunkelten, lächelnd erregt, aber keineswegs böse, denn auch diese ungehörige Bemerkung war ja schon Teil eines zwar nicht gerade geheiligten, so aber doch ganz lebendigen Rituals. Jedenfalls schrieb der Priester noch mit Kreide oben an die Haustür “C + M + B” und dann davor und dahinter je ein weiteres Kreuzchen und ganz außen dann die aufgespaltene Zahl des neuen Jahres.
Und dann zog die kleine Prozession die Glöckchen klingelnd und das Weihrauchfaß schwingend unterm hochgehaltenen Kruzifix weiter zum nächsten Haus.
Wo ich jetzt wohne, in Minnesota, sind die Winter bitterkalt, und der “Alberta-Klipper”, ein eisiger Wind aus Nordwest, von der kanadischen Provinz Alberta her, fährt uns an die Knochen, meinen Kindern und mir, wenn wir morgens eilig ins Auto steigen; denn wenn ich zur Arbeit fahre, nehme ich sie immer zur Schule mit. So verbringe ich etwas mehr Zeit mit ihnen. Aber bei diesem gefährlichen Wetter muß ich mich natürlich aufs Fahren konzentrieren.

Welche Erscheinung!
Auf der eisglatten Straße
drei schwarze Vögel.

Ich darf nicht vergessen, aus der Stadt Kreide mitzubringen, denn heute abend möchte ich an unsere Haustür den alten Segen von zu Hause schreiben.
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(Aus: Trans-Lit, der Zeitschrift der Society for Contemporary American Literature in German)

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Erscheinungsjahr: 2003

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