Marianne Kiauta (in: Vierteljahresschrift 67)

Das Erwachen

Erscheinungsjahr: 2005

Inhalt:

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Textproben, Inhaltsverzeichnisse, Bibliographische Angaben, Bezugsquellen (Nicht alle Elemente gleichzeitig vorhanden)

Hoch am Hang des Hügels, gerade unterhalb eines Festungswerks aus der Eisenzeit*, ist das Grasland ausgestochen und enthüllt so, im Kreideboden darunter, die Skizze eines Tieres.

der zeitlose White Horse
wie ein Kind stürmt sie dorthin
tritt auf seinen Schwanz

Ein Schaudern geht durch mich hindurch, als ich Form annehme, ausgelöst von einem Wissen von weither, vorbei an den Sternen. Zuerst noch etwas steif, nach so vielen Jahrhunderten als eindimensionale Figur, spitze ich meine Ohren und fang einen Laut ein, der mir von weither zugetragen wird, vom Wind: der Ruf von einem andern Pferd. Ein tiefes Verlangen, dem andern zu begegnen, sorgt dafür, dass ich mich von meiner Umgebung losmache. Mein Antwortwiehern ist laut und kräftig, ich schüttele meine Mähne, scharre den Grund mit meinem Huf und setze zu einem graziösen Galopp an, hin zu der Stelle, von der ich mich angezogen fühle, durch einen ganz bestimmten Impuls tief drinnen. Die Begegnung, ein warmes Nüsterln.
Die Sonne steigt herauf in roter Glut – der Mond ging noch nicht unter.
Auf ihrer täglichen Runde fliegt ein Flug Goldfinken über die jetzt leere Stelle am Hang.
Mit Erstaunen entdecken sie, dass das weisse Pferd nicht mehr da ist, aber dass sein Umriss noch da liegt, und sie beschliessen, ihm hinterher zu fliegen und ihn ihm zu bringen. Ein Fink landet auf dem Schwanz, ein anderer auf der Schnauze und die übrigen dazwischen. Sie nehmen die Linie fest in den Schnabel und, nachdem sie bis drei gezählt haben, fliegen sie alle zugleich hoch mit der Kontur zwischen ihnen.
Die Sonne hat inzwischen die Erde losgelassen, und drüben auf dem Grün sehen die Goldfinken die Pferde grasen.
Mit Verwunderung sehe ich eine Art Geistererscheinung auf mich zufliegen kommen.
Nun, da die Finken ihr Ziel erreicht haben, lassen sie den Umriss fallen … und sieh, jetzt liegt eine ganz neue Form auf dem Boden. Erst kann ich es nicht glauben, dass die Linie zu mir gehört, aber meine Nase sagt mir, dass es ganz an dem ist. Vorsichtig nehme ich die Kontur zwischen meine Lippen, schüttele sie schnell hin und her und lasse sie fallen …
jetzt schaut mich wieder eine andere Form an. Ich bekomme spass daran und kann eigentlich kaum aufhören, über den Zauber zu staunen der von jedem neuen Muster ausgeht.

lange unbenutzt,
der Schlüssel bewegt sich nicht mehr
im alten Schloss

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* Wiltshire, Süd-England

Erscheinungsjahr: 2005

Rezension

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