Christa Beau (in: Sommergras117)

Der weiße Pullover

Erscheinungsjahr: 2017

Inhalt:

Weitere Informationen

Textproben, Inhaltsverzeichnisse, Bibliographische Angaben, Bezugsquellen (Nicht alle Elemente gleichzeitig vorhanden)

Endlich duftet es wieder nach Frühling.
Ich werde in meinem Kleiderschrank die Wintersachen gegen die Frühjahrsbekleidung tauschen.
Als ich nach einem weißen Pullover greife, muss ich innehalten. Sanft streiche ich über die Angorawolle, führe sie an meine Wangen und schließe die Augen. Ich rieche das Parfüm meiner Mutter. Süß, aber nicht auf- dringlich.
Eigentlich ist das nicht möglich, denn ich habe den Pullover schon getragen und gewaschen. Und doch rieche ich ihr Parfüm. Als ich die Augen wieder öffne, ist der Duft verflogen.
Ich setze mich aufs Bett und denke an einen Winterabend im warmen Wohnzimmer meiner Mutter.
Wir sahen fern und unsere Stricknadeln klapperten. Ich strickte mir einen grauen Pullover mit Zopfmuster und Mutter diesen Angorapullover.
Er war schneeweiß und passte gut zu ihr. Ihre rötlich gefärbten Haare bildeten einen guten Kontrast. Sie konnte ihn zu fast all ihren Röcken und Hosen tragen.
Einmal sagte sie zu mir: Wenn ich mal nicht mehr bin, dann kannst du ihn haben.
Ich schmunzelte.
Mutter ging früher als erwartet, hinterließ Tränen, Traurigkeit, viele schöne Erinnerungen und diesen weißen Angorapullover. Sie wollte, dass ich ihn anziehe.
Als ich ihn das erste Mal trug, hatte ich ein gutes Gefühl auf der Haut. Er war weich, leicht, wärmte und roch nach ihr.
Dann stand ich vor dem Spiegel.
Ich sah nicht mich, sondern sie. Ihre Augen, ihre Gesichtszüge, ihr Lächeln und ihr Kleidungsstück.
Ein anderes Bild drängt sich in meine Erinnerung: die Glatze mit der Nummer, die großen tief liegenden Augen, dünne Arme und Beine, die blaue Farbe der Haut.
Den ganzen Tag über fühlte ich mich schlecht. Immer wenn ich an einer Spiegelfläche vorüberging, sah ich Mutter im Krankenbett. Letztlich begann der Pullover, auf der Haut zu jucken.
Ich wusch ihn und legte ihn in den Schrank.
Nun halte ich den weißen Angorapullover in den Händen, streichele ihn, so wie ich es gern mit Mutter tun würde. Ich verstaue ihn in einer Truhe voller Erinnerungen und lege ein Lavendelherzchen dazu, damit ihn die Motten nicht zerfressen. Meine Hand berührt ein Buch.

das alte Tagebuch
zwischen den Seiten
Tränen

Erscheinungsjahr: 2017

Rezension

Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Ut elit tellus, luctus nec ullamcorper mattis, pulvinar dapibus leo.