Udo Wenzel (in: Sommergras75)

D’Necka nauf

Nur dünne Schleierwolken bedecken den Himmel. Der erste warme Tag im Jahr. Durch die Altstadtgasse hinunter zum Neckar. In manchen Kähnen steht noch Regenwasser, erst einer ist am Vormittag schon herausgeputzt.
Ein junger Mann sitzt in seinem Kahn und liest in einem Buch. Als wir näher treten, springt er bereitwillig auf. Ja, gerne fahre er uns ein wenig »d‘ Necka nauf«. Während wir zögern, bietet er eine Fahrt zum halben Preis an. Wir willigen ein, betreten vorsichtig unter Schwanken das Boot, suchen einen Platz und lehnen uns gegenüber an die seitlich befestigten Bretter. Langsam und gleichmäßig schiebt der Stocherkahnfahrer das Boot mit seiner langen Stange flussaufwärts.
Wie still es hier ist – fast nichts mehr ist zu hören von den Geräuschen der Stadt. Die Spitzen des Hölderlinturmes und der Stiftskirche ragen ins helle Blau. Dichtbewachsen die Ufer. Stange für Stange geht es voran.

Was dort blüht,
im Schatten des Dickichts,
verrät nur sein Duft.

Feine Lichtwellen kräuseln sich auf der Rinde der Uferbäume. Inmitten des grünen Laubs wächst eine prächtige Rotbuche, die das Morgenlicht zu schlucken scheint. Aus ihrem Schatten schwimmt ein Entenpaar auf den Kahn zu und begleitet uns für kurze Zeit. Nach einer Weile wendet der Fahrer, legt die Stange ab, nimmt Platz und lässt das Boot gemächlich zurücktreiben. Wir wechseln nur wenige Worte. Meine Frau und der junge Mann lächeln sich zu. Das Wasser des Neckars fl ießt ruhig, ein trübes Hellbraun, in dem sich nichts zu spiegeln scheint. Am Ufer der Insel hockt ein Alter mit Angelrute. Unsere Blicke treffen sich. Berührt und beschämt schaue ich zur Seite. Wieder geht es durch die Bärlauchwolke,
bis wir am Anlegeplatz vorübergleiten. Der Schiffer steht auf, stößt die Stange in den Fluss und wendet noch einmal. Geschickt lenkt er das Boot in die schmale Lücke zwischen den anderen Barken. Inzwischen hat die Sonne den Zenit erreicht. Liebespaare und junge Leute sonnen sich auf der aufgewärmten Ufermauer. Wir setzen uns zu ihnen und lauschen den gedämpften Stimmen.

Unterm Turm,
an Klöppelgardinen vorbei
fliegt eine Krähe.

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Erscheinungsjahr: 2006

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