Gregor Graf

drei zeilen nur ein wenig wind

Erscheinungsjahr: 2020

BoD Norderstedt 2020. 88 Seiten. Softcover, 12x19cm. ISBN 9-783752-611069.

Inhalt:

Weitere Informationen

Textproben, Inhaltsverzeichnisse, Bibliographische Angaben, Bezugsquellen (Nicht alle Elemente gleichzeitig vorhanden)

Neben dem Titel, dieser in einem Rotton gedruckt, trägt das schneeweiße Cover unten die drei Zeilen: kirschblüten / schneeweiß / der berg.
72 Haiku, alles in Kleinschrift, ohne Satzzeichen.
Das Büchlein ist ausschließlich in weiß gehalten. Covervorder- und Rückseite tragen auch mit Schrift im Rotton.

Rezension

fliegen
wie ein Sperling
würde mir genügen (S. 3)

Dieses ebenso einfache wie tiefgründende Bekenntnis eröffnet den Band. Jeder Dreizeiler hat seine eigene Buchseite. Die Abfolge der ersten fünf Kapitel ist die altbekannte: Dem Neujahr folgen die vier europäischen Jahreszeiten. Neu ist gegenüber dem zweiten Band von Gregor Graf (nichts weiter, drei zeilen nur) von 2018: Als Kapitelüberschriften stehen diesmal nicht einfache Substantive, sondern passende minime Erweiterungen. Beim Neujahr heißt es „ein neues jahr“. Beendet wird dieses Kapitel mit dem Haiku:

vor dem Fenster
die Spatzen
schon wieder streiten (S. 13)

Das Kapitel „endlich frühling“ beginnt mit dem Haiku:

im wipfel
die elster
lacht den winter aus (S. 15)

Mir gefällt bei diesen Texten der über die drei Zeilen gleichmäßig fortlaufende Erzählfluss. Gregor Graf beschreibt mit schlichten Worten, was er der Natur und seiner Umgebung ablauscht. Die Wahl so unaufgeregt wirkender Worte lässt, scheint mir, den Leser teilnehmen an des Autors intensivem Lauschen. Leiser Humor tritt auf im Kurzgedicht auf Seite 40:

sommerlich
das loch im strumpf
beim großen zeh

Wer denkt da nicht an das Sommerloch?

Ungewohnt ist das sechste Kapitel: „woher – wohin“. Erscheint es mir wegen dieses Kapitels, dass dieser Gedichtband vielleicht nicht nur durch das Jahr, sondern auch durch ein Leben führt? Sein erster von fünfzehn Texten lautet:

erinnern
dass ich glücklich
war (S. 69)

Die Vermutung, dass der Autor vielleicht beim Schreiben an ein ganzes Leben dachte, verstärkt sich bei mir mit dem zweiten Text aus diesem Kapitel:

damals
als die linden blühten
dufteten (S. 70)

Das „damals“ fasse ich auf als Rückblick auf eine schöne Jugend-Zeit, auf einen speziellen Teil davon. Dazu passt das Ergebnis einer formellen Zählung. In diesem Kapitel zähle ich zwei Haiku und dreizehn Kurzgedichte.

Am Ende des Buches zitiert Graf den spanischen Dichter Juan Ramón Jiménez:

Y yo me iré.
Y se quedarán los
pájaros cantando.

Graf fügt die Übersetzung an, wie sie auch in einem dtb zu finden ist; aber er bringt sie in eine neue Ordnung:

Und ich werde gehen.
Und die Vögel werden
bleiben und singen.

Damit sind sowohl die drei spanischen wie auch die drei deutschen Zeilen sehr schön gesetzt. Sie stehen formell da als Haiku in freien Formen. Wer aber weiß, dass diese zwei Sätze der Anfang eines größeren Gedichtes sind, wird vielleicht jetzt auch der Meinung werden: Da denkt einer über das ganze Leben nach. Der Titel lautet bei Jiménez: El viaje definitivo – im Diogenes Taschenbuch 20388 übersetzt mit: Die endgültige Reise.

Für mich ist „drei zeilen nur ein wenig wind“ ein neuer Haikuband, der für den empfänglichen Leser sorgfältig gewählte und sorgfältig gesetzte Poesie ausstrahlt. Dass der Dichter das 5-7-5-Schema kein einziges Mal anwendet – von der Haiku-Seite vielleicht ein Makel; von der Leserfreundlicheit und der Poesie her gesehen, finde ich, ein Plus. Gregor Graf ist Meister des Antönens, einer Sanftheit in Kürze. Zum Glück fehlt ihm die Schärfe des Aphoristen.

Peter Rudolf, SOMMERGRAS Nr. 132

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