Briefmarken. Ein ganzer Karton voll. Rund um die ausgeschnittenen Marken ein schmaler Rand. Auf der Rückseite ein Stück Himmel. Wolken- los. Irgendwo im Süden. Wer ihm wohl all die Ansichtskarten geschrie- ben hat?
Vater hat einen Wasserkessel aufgesetzt und dessen Flöte abgenommen. Mit einer Pinzette hält er die Ausschnitte in den Dampf. Die abgelösten Marken legt er mit dem Bild nach unten auf ein Trockentuch und streicht glättend – fast zärtlich – mit einem Finger darüber. Später wird er sie – wieder mit der Pinzette – in dicke Alben einsortieren, die Reste im Ofen verbrennen.
***
Einmal wollte ich Vater helfen. Er war noch auf der Arbeit, und ich würde ihn überraschen. Also warf ich eine Handvoll Briefmarken in heißes Wasser, fischte sie wieder raus und zupfte sie vom Karton. Zu ungeduldig,
denn einige blieben hängen und Zacken rissen ab. Und ich wunderte mich: Unter manchen Marken verborgen stand in winzigen Buchstaben „i. l. d.“. Als Vater heimkam, freute er sich nicht. Er presste die Lippen aufeinan- der, warf die ganze Bescherung ins Feuer und verschloss den Karton mit den übrigen Marken in einer Schublade. Den Schlüssel befestigte er an seinem Bund. Wir haben nie darüber gesprochen.
***
Ich halte Vaters letzten Brief in der Hand, beklebt mit einer Reihe bunter Briefmarken aus einem Land im Süden. Seite um Seite beschreibt er seinen Alltag, seine Freuden, sein Glück. „Den Umschlag heb mir bitte auf,
i. l. d.“
geheime Zeichen
hinterm Horizont
ein Leuchten