„Ein Windhauch zu kühl“ liegt in einer mit Lesebändchen versehenen, wertigen, gebundenen Ausgabe mit einem schwarz-weiß-gestalteten Schutzumschlag vor mir. „Magische Momente“ verspricht der auf der Rückseite abgedruckte Dreizeiler. Vorweg gesagt, wer von diesem Bändchen nur „klassische“ Haikus erwartet, ist hier fehl am Platze. Entweder ist über die klassische Haiku-Definition hinauszuschauen, oder aber ein Betrachtungswinkel, die Dreizeiler als – wie autorenseitig angemerkt – die Texte als Haiku-inspirierte Kurzgedichte, wie es das Kapitel „Über dieses Buch (S.114) verspricht, einzunehmen.
Henry Walter Bates Zitat „The process by which a mimetic analogy is brought about in nature is a problem which involves that bof the origin of all species and all adaptions“ (S.9) ist im ersten Moment wenig erhellend, stoppt es meine Neugier doch, da das Zitat erst einmal übersetzt sein will, und mich dann trotzdem eher mit Fragezeichen als mit Klarheit versehen sieht. Ich blättere erst einmal weiter durch das Büchlein; Dreizeiler – überwiegend auf Deutsch, teils Englisch – platzieren sich lesefreundlich mit ein bis zwei Werken pro Seite – teils angenehm illustriert durch Schwarz-Weiß-Fotos, die die Stimmung der einzelnen Texte aufgreifen, ohne dabei für das Verständnis notwendig sein zu müssen.
Die Texte verteilen sich auf 3 Kapitel – wer hier die klassische Jahreszeitenanordnung vermutet, liegt falsch. Vielmehr haben wir eine Dreiteilung, die – erläutert im Inhaltsverzeichnis auf S.113 – zunächst ebenfalls nicht für Erkenntnis sorgt: fernöstlich anmutende Schriftzeichen (japanisch?), „Dismorphiinae“ und „Libera me“ lassen sich vermutlich erst über die Texte selber nachvollziehen oder interpretieren…
Die Texte selber sind, neben der inhaltlichen Varianz, auch formal und sprachlich sehr variabel – und immer wieder wohltuend überraschend. Klassisch anmutende Dreizeiler wie z.B. „Einen Hof weiter – / Zerkreischt eine Kreissäge / Die Mittagsruhe.“ (S.48) wechseln mit sprachlich deutlich werdenden Worten, wie in „ihr bestes geben / und richtig gas das will sie / scheißeng der bh“, bis hin zu wertenden Dreizeilern, die gemeinhin nicht mehr als Haiku betrachtet werden, z.B. „Eine Flocke / Auf meiner Nasenspitze. Jetzt? Zu dieser Zeit?“ (S.107).
Die Texte sind nicht einheitlich, konsequente Kleinschreibung der Worte, das einheitliche Entfallen von Satzzeichen, nein, auch hier findet Askja Modren keine durchgängige Linie… sprachliche Wechsel vom Deutschen ins Englische innerhalb eines Dreizeilers, auch damit überrascht Askja Modren den Leser an verschiedenen Stellen.
Insgesamt ein Band voller Dreizeiler zum Nachdenken, nicht zum bloßen konsumieren – ob nun als Haiku oder haiku-inspiriert, das mag der geneigte Leser für sich selber entdecken…
Thomas Opfermann, in Sommergras Nr. 128, S. 76/77
Ein Windhauch zu kühl – Haiku – No Haiku, von Askja Modren, 114 Seiten, Verlag Schäfer & Schäfer GbR, Rheinbach 2019. ISBN 978-3-9820610-1-6