Ich sah noch einmal
hoch zur Kirche auf dem Berg.
März ’45.
7. Mai 2005, 21:54:16
Ich bin einfach neugierig, Horst:
Was verbindest du mit dieser Kirche und dem März ’45?
Georg
9. Mai 2005, 00:49:13
Das ist sechzig Jahre her, lieber Georg Flamm. Wir flohen aus unserm Dorf spät in der Nacht, und unser von Ochsen gezogener und mit einer Plane notdürftig bedachter Leiterwagen hielt das kalte Wetter etwas von mir Achtjährigem ab. (Die anderen gingen alle zu Fuß.) Ich blickte noch einmal hinten unter der Plane hinaus, und der letzte Blick, den ich im ersten Morgengrauen noch auf meine kleine Heimat hatte, war eben der Blick den Kirchberg hinauf, zu unserer Kirche. – Dieses Bild trage ich mein Leben mit mir herum; – und ich stimme mit Thum nicht ganz überein, wenn er sagt, daß die Sprache des Haiku die Gegenwart ist, – wenn damit das Präsens gemeint ist (und ich bin sicher, daß er es auch nicht so eng meint). Der Text ist ein ganz persönlicher, ohne große sprachliche Gestaltung (aber doch mit einiger); – und, um ehrlich zu sein, habe ich ihn auch vorgelegt, um zu zeigen, wie im Haiku das Imperfekt ganz Gegenwart sein kann.
Da Sie [in Ihrem vorigen Brief] auch mein anderes Haiku ansprechen, das zum Soldatenbegräbnis an einem Frühlingsvormittag [»Kurze Ansprache, / drei Salven über das Grab. – / Frühlingsvormittag.«]: Da wurde ein Veteran beerdigt, der als amerikanischer Infantrist 1944 und ’45 in Italien und Deutschland gekämpft hatte und mich hier in seinem kleinen Supermarkt immer mit »Grüß Gott, Landsmann!« begrüßt hatte. Hier war etwas zu Ende, hier Gott sei Dank nur mit symbolischen Schüssen (was mir sogar ein Lächeln abzwingt: diese anderen Veteranen, alte Männer mit Flagge, Gewehr und Kommandos – und alle gar nicht so sehr viel älter als ich!) und das alles an einem Vormittag im Frühling. Wobei ich
der 5-7-5-Form dankbar bin, die mich nicht so einfach und sprachlich eigentlich richtig »übers« schreiben ließ, sondern verlangte, daß ich »über das« schrieb und damit den Text nicht ganz so ohne Stocken zum Satzende führte.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Horst Ludwig
9. Mai 2005, 08:54:57
Lieber Horst Ludwig!
Ganz herzlichen Dank für die Schilderung des berührenden Hintergrunds Ihres Textes!
Und einmal mehr denke ich laut darüber nach, ob es nicht in vielen Fällen angebracht wäre (und das hat doch in der klassischen japanischen Haiku-Literatur Vorbilder, nicht wahr?), so manches Haiku von vornherein mit einem Kommentar zu versehen bzw. es in einen Prosatext einzubetten.
Beste Grüße
Georg
9. Mai 2005, 23:03:05
Lieber Georg Flamm, ja, es gibt ja das Haibun, bei dem der Prosateil den Zweck erfüllen könnte, den Sie hier ansprechen. Ich meine aber, daß das Material, das hier im März-‘45-Haiku und auch im Soldatenbegräbnis-Text vorgestellt wird, dem Leser hinreicht, um sich daraus seinen eigenen Vers zu machen. Ich bin sicher, so mancher hat im März ’45 noch einmal hoch zur Kirche auf dem Berg geschaut und dabei an mehr als z.B. nur deren Architektur gedacht. Und die Jüngeren, besonders die im deutschen Sprachraum, seien bestimmt angesprochen, sich über den März ’45 und vielleicht auch die kulturelle Funktion der Kirche einige Gedanken zu machen.
Und zum Muttertag
wird der Marienaltar
besonders geschmückt.
Mit ganz herzlichen Grüßen
Ihr Horst Ludwig