Rita Rosen (in: Sommergras94)

Hausboot

Im vergangenen Sommer war ich auf ein Hausboot eingeladen. Zum ersten Mal in meinem Leben. Neugierig fuhr ich hin. Es war ein langes, breites Boot, das in einer Gracht ankerte. Vom Ufer aus musste man mit einem Sprung das Boot erreichen. Mutig sprang ich. Das Boot schwankte heftig. „Ach“, dachte ich, „das kommt von dem Aufsprung, das wird sich schon legen“. Aber es legte sich nicht. Als ich die Stiege hochging, in der Mitte des Raumes stand, mich auf den Sessel setzte, an das Fenster ging – überall spürte ich das leichte Schwanken. Eine dubiose Angst kroch in mir hoch: „Mir wird doch wohl nicht übel werden“.
Ich saß auf einer Bank, hatte mir ein Buch aus dem Regal geholt und auf meine Knie gelegt. Es war ein Buch über die Geschichte der Grachten und ihrer Hausboote. 2500 gibt es inzwischen. Viele Menschen lieben es, auf ihnen zu wohnen. Auch mein Freund erklärte mir, wie frei man sich auf dem Boot fühle, jederzeit in der Lage aufzubrechen und durch die Gewässer zu schippern. Das Schaukeln bemerkte er schon lange nicht mehr. Beim Durchblättern des Buches bemerkte ich, dass sich das Buch bewegte. Mal bog sich eine Seite von rechts nach links mal umgekehrt. Ich überprüfte mein Sehvermögen, aber es blieb dabei, das Buch war immer in Bewegung. Schmunzelnd überließ ich mich
diesem neuen Lesevergnügen.
Ein Kontrollschiff machte seinen Zug durch die Gracht. Es war ein großes Schiff, besetzt mit Männern in Uniform. Sie durchsuchten das Wasser nach Abfällen oder Hindernissen, um diese zu entfernen. Das Schiff verursachte einen hohen Wellengang, der auch mein Gastboot erreichte und ordentlich schüttelte. Auch die Nachbarboote wiegten sich im Rhythmus der hohen Wellen. Die Besitzer freuten sich und winkten grüßend den Wasserpolizisten zu. Ich ängstigte mich und hielt mich an einer Stuhllehne fest. Mein Freund lachte.
Am Abend saßen wir auf der Außenrampe des Bootes, ein schmaler Holzsteg, auf dem gerade mal ein kleiner Tisch und zwei Stühle Platz hatten. Es war ein lauer Sommerabend, ein leichter Wind wehte. Die Lichter der anderen Boote längs des Ufers leuchteten auf, ein Vollmond stand am Himmel, der sich bald in den Wassern spiegelte. Wein wurde in schlanke Gläser eingegossen. Und bevor wir uns zuprosteten, bemerkte ich, wie der Wein im Glase schaukelte. Dies tat er den ganzen Abend über.
Ich schlief in einer Koje in einem schmalen Bett. Als ich mich hinlegte, spürte ich es sofort wieder: dieses sanfte Schwingen, das leichte Schaukeln. Nun schon daran gewöhnt überließ ich mich gelassen dieser
unbestimmten Bewegung. Nun konnte ich sie schon genießen. Mir kamen Lieder in den Sinn, die ich leise vor mich hin summte: „Eia Wieglein, Wieglein fein …“

ein schwankender Grund
ein tänzelnder Schritt –
deine Seele regt sich

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Erscheinungsjahr: 2011

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