Sirenengeheul …
Ach ja! Sonnabend, 12 Uhr Mittag.
eine Amsel
hebt den Kopf
in ihren Frühling
Nur kurz die Augen schließen!
Aufgeschreckt greife ich – wie von Mama eingetrichtert – sofort nach meinem kleinen Kissen mit den wenigen Wertsachen der Familie: amtliche Papiere, drei Fotos, ein paar Feldbriefe, etwas Schmuck. Und schon ist da dieses Klacken im Volksempfänger: „Goebbels läuft auf Klumpen“ – akute Luftgefahr! Wir stürzen zur Treppe, laufen aus dem Haus, stolpern zum nächsten Bunker. Gerade noch rechtzeitig! Schon verriegeln die beiden alten Luftschutzhelfer die schweren Türen mit den eisernen Bügeln hinter uns. Im fahlen Notlicht nur bleiche Gesichter. Kaum Platz zum Stehen. Augen suchen sich, gerötet, weit aufgerissen, müde verengt. Und schon die ersten Einschläge! Ziemlich fern noch. Doch die Erde zittert. Bald bebt auch der Beton. Ein erstes Vaterunser! Leise, ansteckend. Immer lauter die Worte. Auch ich weiß schon, wie es geht, bete brav mit. Explosionen, jetzt in rascher Folge, näher und näher. Es wummert, wuchtet, dröhnt und kracht. Der Bunker schwankt, scheint sich zu heben. Ein Albtraum aus den Trümmern des Gebets, aus Wimmern, aus Keuchen … und vergib uns unsere Schuld … Mörtel rieselt von der Decke. Die Luft wird knapper. Es staubt. Dennoch schimmert Schweiß auf den Stirnen. Tränen rinnen. Strenger der Geruch nach Mensch, nach Angst. Einschläge, hier und da, oben und unten. Es bröckelt und rumst, es stöhnt und jammert. Hände gepresst auf die Trommelfelle … denn dein ist das Reich … Zum wievielten Mal? Aus einem Mund. Bomben, Bersten, Beten, Bangen. Volltreffer!?
… Ein kurzes Flackern. Es ist dunkel. Totenstille … und in Ewigkeit, Amen …
Nur ganz zögerlich flammt eine Kerze auf. Endlich – nach siebzig Jahren – öffnet sich die Tür.
Sonnenaufgang
am späten Nachmittag
mitten im Leben