Neues Wohnen – eine Art übermäßiges Haibun aus Wien
Nach dem Umzug
nachts die Klotür suchen –
autsch! andere Seite!
Übersiedeln – nichts Neues für mich. Oder vielleicht doch: Es ist das letzte Mal. Wenn ich diese Wohnung hinter mir lasse, muss ich nichts mitnehmen. Nicht einmal eine Handtasche. Vorläufig ist es noch nicht so weit, erst einmal werde ich mich hier eingewöhnen. „Sieb-te E-ta-ge“, erläutert die Blechfrau im Aufzug. Ich kann jetzt mit geschlossenen Augen hinauf- und hinunterfahren, Verantwortung abgeben.
Der sprechende Lift –
neuer Partner für meine
Hörgeräte
Statt des Blicks auf wogendes Grün spielt mir der Himmel nun seine Wolkendramen vor, fantasievoll, oft grotesk, wenn etwa der wilde Regenguss so scharf begrenzt ist, dass ich weiß: An der Linken Wienzeile scheint schon wieder die Sonne. Da verliert das Universum gleich an Schrecken.
Horizonte
rücken näher – bis
ans Fensterbrett
Oder: Alles versinkt, nur einzelne Schornsteine und Antennen ragen aus dem weißen Gebräu – Großstadt?
Aus dem Nebel
aufleuchtender Stephansturm
deutet die Flugspur
Vertraute Gebäude aus neuem Blickwinkel: Eines, in meiner Erinnerung biedermeierlich verschlissen, döst lustlos unter grauem Blechdach, ein anderes spielt Wehrturm und hat doch nur einen Liftaufbau zu bieten.
Blick aus dem Fenster
über der Dachlandschaft
Kirchturm und Flakturm
Schräg hinter meinem Schreibtisch geht der Mond auf, geht die Sonne auf. Die verschafft mir Morgenfreizeit: Der Bildschirm spiegelt.
Sonnenaufgang
Flug nach Warschau
streicht den Himmel durch
Tief in der Gassenschlucht fährt ein Müllwagen vor. Jetzt weiß ich endlich um die ebenso einfache wie sinnvolle Mechanik Bescheid, die das sortenreine Entleeren der Container ermöglicht.
Von höchster Ebene aus
das Geheimnis entlarvt
Altglassammlung
Schnurrend biegt der 13 A um die Ecke. Sein schneeweißes Dach bezeugt die Sorgfalt der Wiener Linien. Ich höre ihn mit Wohlgefallen: Nun kann ich mein Fenster schließen.
Morgens um fünf
geweckt vom 13 A –
die Stadt funktioniert!
Der Bus hat eine weite Reise vor sich: vorbei an der Zukunft der Baustelle Pilgramgasse, an den Schimären im Haus des Meeres, an der zeitgem. Abk. für die FuZo Mahü bis zurück in meine Vergangenheit, unter dem Asphalt noch immer ungestüm der Alserbach.*
13 A-Kurven
Schlafsäcke auf der Parkbank
STILL OF THE NIGHT **
Nachts streift da unten eine getigerte Katze umher, läuft über die Fahrbahn, schlüpft durch den Zaun vor unsrem Haus. Ganz lautlos. Menschen eilen den Gehsteig entlang, selbst in der Finsternis zielbewusst, die Gesichter erhellt von den Displays.
Däumelnd durch die Nacht
im Widerschein des Rechtecks
bläulich beleuchtet
So viel Neues stapelt sich. Überwuchert das Gestern. Manchmal aber …
Herbstregensonntag
das Fenster spaltbreit geöffnet
weißt du noch?
* Pilgramgasse: Hier wird die neue U-Bahn-Linie U5 gebaut, leider: Jetzt habe ich es ziemlich weit zur nächsten Station; Fußgängerzone Mariahilferstraße, begeistert angenommen nach jahrelangem heftigem Streit; manchmal nach einem Gewitter kommt der Alserbach durch die Kanaldeckel nachschauen, was sich so auf der Alserstraße tut.
** Der Flakturm im Esterhazypark wurde im II. Weltkrieg als Geschützleitturm erbaut (Flak = Fliegerabwehrkanone). Heute befindet sich in ihm das „Haus des Meeres“; an der Außenwand trägt der Turm seit 1991 die Inschrift SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT) des Künstlers Lorenz Weiner.