Horst Ludwig (in: Sommergras76)

Windy City

Erscheinungsjahr: 2007

Inhalt:

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Textproben, Inhaltsverzeichnisse, Bibliographische Angaben, Bezugsquellen (Nicht alle Elemente gleichzeitig vorhanden)

Steife Windstöße.
Nächste: California.
Ausstieg rechts bitte.

Es ist schon schwierig – oder aber ganz leicht! –, Ende November in Chikago so ohne weiteres ans wirkliche Kalifornien zu denken. Man nennt diese Stadt nicht umsonst »die Stadt mit dem Wind«, und zu dieser Jahreszeit kann der ganze Obere Mittelwesten der USA schon ganz schön kalt sein; Chikago ist da keine Ausnahme.
Kreuzworträtsellöser wissen, daß man die alte Stadtbahn da kurz »El« nennt. Ob das aber darauf zurückgeht, daß sie elektrisch angetriebenwird, oder darauf, daß sie hin und wieder hoch über der Straße fährt, »elevated«, also »erhaben« die Straße unter sich dem normalen Verkehr überläßt, das weiß ich nicht. Meine Bahn vom Flughafen zur Stadtmitte fährt jedenfalls mehrmals untergrund, auf ebener Erde und hoch über den Straßen. Am Halt »California« wird‘s noch voller, und zugig – mein Gott! – ist‘s ohne Zweifel.
Neben mir auf der Invalidenplatzreihe sitzt eine attraktive junge Frau – Pelzmantel, gepfl egte Frisur –, die zeitweise vor dem Gesicht mehrmals schnell die Hand bewegt, als wollte sie da etwas verscheuchen. Mir geht schließlich auf, daß sie auf ihre Art immer wieder Kreuzzeichen macht, immer gleich drei zusammen. Nahe der Tür bemerke ich eine andere durchaus schöne junge Dame, auch in warmem Pelzmantel. Sie ist nicht ganz schlank darunter, zugegeben, aber sie schmiegt sich eng an den jungen Mann vor ihr, und die zwei lächeln einander an und tauschen Blicke und kurze Sätze aus, daß einem die Kälte, bevor sich an den Halten die Türen schließen, sogar etwas erträglicher wird. Eine kurze Frage von ihr beantwortet der Mann dann jedoch mit einem Kopfschütteln, wobei er den Mund zu unbeholfenem Lächeln verzieht, – und sie drängt sich sofort mit kaltem Gesicht von ihm weg in den Gang, zwei kurze Schritte nur, aber eben weg, so weit sie kann.

Böse zerrt der Wind
an den paar Eichenbäumen,
den fünf, sechs Leuten.

Und dann ist‘s auf einmal untergrund. Im anderen Licht scheint die junge Frau den Mann jetzt anzulächeln, ja, sogar etwas auf ihn zuzurücken, aber eben nur etwas, und er lächelt zurück, aber eben doch eher kopfschüttelnd als erfreut oder angeregt; – und schließlich zieht er sich seine Fellmütze tiefer über die Ohren und den Reißverschluß seiner Feldbluse ganz hoch bis an den Hals und steigt wortlos und ohne weiteren Rückblick aus. Zwei Halte weiter steigt auch die Frau aus: Eine schöne Frau. Der Lautsprecher kündet an, daß dieser Halt in den nächsten zwei Jahren nicht mehr wie vorher zu benutzen sei; »aus Umbaugründen« werde man nicht hier direkt in einen anderen Zug umsteigen, das könne man nun nur zwei Halte weiter tun. Jetzt verstehe ich: Da war ja in der Nacht ein Brand im Untergrunddurchgang zum anderen Bahnsteig gewesen.
Den nächsten Halt steige ich aus, und von da geh ich durch die Kälte die fünf, sechs Straßen zu meinem Konferenzhotel zu Fuß; ich will nicht erst lange auf den Bus dahin warten. Etwas später werde ich aber von einem überholt, mit dem ich auch hätte fahren können.

Lyrikertreffen.
Vom Michigan-See zieht‘s eisig
einem bis ins Mark.

Erscheinungsjahr: 2007

Rezension

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