Hartmann Georges – bon-say-verlag

Winterlinge – Gedankenflocken für ein Haiku-Seminar

Erscheinungsjahr: 2021

2021, Softcover, Fadenbindung, farbiges Innencover, 64 Seiten, 170g Naturpapier, 9 Schwarzweiß-Fotos, sämtliche Textseiten mit einem Fotoausschnitt dezent hinterlegt, ISBN 978-3-945890-45-5, 10 € Bestellungen bitte direkt an den bon-say-verlag

Inhalt:

Weitere Informationen

Textproben, Inhaltsverzeichnisse, Bibliographische Angaben, Bezugsquellen (Nicht alle Elemente gleichzeitig vorhanden)

Winterlinge – Gedankenflocken für ein Haiku-Seminar … Georges Hartmann stellt sich der Aufgabe ab Juli Gedanken zusammenzutragen, die ihm zum Winter einfallen und aus denen Haiku werden können … Der amüsante Aufsatz tritt in Dialog mit LeserInnen und fordert diese auf, sich eigene Gedanken zu machen.. Zahlreiche Beispiele gelungener Winter-Haiku bekannter Autoren runden Georges’ fundierten Überlegungen ab.

Rezension

2 Rezensionen!
Rezension Petra Sela: WINTERLINGE

Dieses wunderschön gestaltete Bändchen nimmt man gerne zur Hand, auch wenn das Thema ein frostiges ist: WINTERLINGE. Doch es wäre nicht Georges Hartmann, wenn nicht gleich der erste Text so beginnen würde:
 
WINTER
Es ist Mitte Juli. die Sonne drückt auf die Schweißdrüsen und ich spüre, wie die gerade heruntergespülte Apfelsaftschorle wieder aus dem überhitzten Körper hinausdrängt …
 
Der Band enthält Impressionen, Rückblicke, Kritisches und wird immer wieder mit Haiku durchbrochen – oder eher aufgelockert? Sie durchtanzen die kurzen Prosatexte wie Schneeflocken. Dabei sind es zitierte Haiku anderer Autorinnen/Autoren, denen Georges Hartmann Raum gibt. Gegen Schluss kommen aber doch auch Haiku – „Winterlinge“ – des Autors selbst zu Wort. Hier einige davon:
 
Draußen schneit‘s wieder.
Er liest die Unterschriften
auf dem Gipsbein.
 
Ins Eis am Fenster
kratz ich der Liebsten ein Herz.
Hoffentlich bleibt‘s kalt.
 
Wie ein Lampion
hängt der Wintermond
im kahlen Geäst
 
Und wie man spüren kann, der Humor kommt dabei nicht zu kurz.
Ich wünsche viel Vergnügen beim Schmökern.

Rezension Rüdiger Jung: WINTERLINGE

„Schockgefrostet“ erleben wir den Autoren – noch in der Erinnerung an Erika Schwalms eindringliche Frage: „Hast du das Winterthema fürs nächste Haiku-Seminar schon auf die Reihe gebracht?“ (S. 7) und begleiten ihn, wo er sich bereits im Juli seine Gedanken macht. Dieser saisonale Anachronismus steckt voller Komik, was sage ich, Witz, Geist, Esprit. Gut, wenn dann – geradezu aus dem Nichts – ein Gesprächspartner auftaucht, der – als wüsste er, worum es geht – Bauernregeln und Naturphänomene des hohen Sommers bereits auf den Winter hin auslegt. Und damit die Spur fortsetzt, die ein Proviant sammelndes und versteckendes Eichhörnchen bereits gelegt hat. Georges selbst beackert daraufhin den großen Schatz literarischer „Wintermärchen“ und lotet das Wortfeld der „Kälte“ aus (kaltlächelnd, kaltstellen, kaltmachen, Kaltpressung, Kaltschale, Kaltstart) – S. 20 f. Stets eingedenk: „Der Winter ist halt kein Thema, das sich beliebig mit irgendwelchen Mätzchen in den Griff bekommen lässt (S. 16 f)!

Hinzu kommt der Klimawandel, der zwischen erinnertem und gegenwärtigem Winter eine Kluft auftut: „Mein Winterbild mischt die aus Kindertagen zurückgebliebenen Erinnerungsfetzen mit den Motiven jener Schwarzweißfotos, auf denen die Winter noch als wirkliche Winter zu erkennen sind“ (S. 23). Und schon sind wir mitten drin: Haiku – fremde und eigene – werden zitiert und (an-)gedeutet; Georges Hartmanns Seminar beschreitet den lohnendsten aller Wege, jenen der Fragen, die dem eigenen Leben und Lesen des Seminarteilnehmers und/oder „Winterlinge“-Lesers genau jenen Raum lassen, den ein Haiku braucht, um anzukommen, um zu landen. Eine eingehende und ausführliche Deutung erfährt ein Haiku Udo Wenzels (S. 28; der „Versuch einer Interpretation“ S. 28 bis 36):

Schneetreiben –
das Tor zum Kloster
wird geschlossen

Gelungen ist diese ausführlichste Auseinandersetzung mit einem Einzeltext nicht zuletzt deswegen, weil der Deutende immer neu Anlauf nimmt und dabei mögliche Grundannahmen, die der Text offen lässt, variiert (Kloster auf dem Land oder in der Stadt; Zeitpunkt mitten am Tag oder mitten in der Nacht). Der Interpretierende geht im Vollbesitz der eigenen Subjektivität an die Sache, lässt gerade dadurch dem Leser die Möglichkeit, sich seiner Deutung anzuschließen oder aber eine ganz eigene, differierende zu wagen.

Genau wie er diesem Haiku begegnet, begegnet der Autor dem Phänomen des Winters, nimmt mehrere Anläufe, greift verschiedene Aspekte heraus: die Initialzündung des Winters mit den ersten Schneeflocken, das „Menscheln“ in der kalten Jahreszeit, den Festkalender (Advent, Weihnachten, Jahreswende, Karneval), schließlich den Wintersport, der seine eigene Olympiade kennt.

Den „Schlussakkord“ setzen eigene Haiku Georges Hartmanns und ein Haibun, das sich kaum anders als mit „funkensprühend“ würdigen lässt – das reinste Feuerwerk! Eine begrenzte Zahl sorgfältig ausgewählter Texte in den Blick nehmend und es den Wirkkräften unermüdlichen Fragens aussetzend – so kann ein Haiku-Seminar wahrhaft gelingen! Gerade weil der
Autor solche Sorgfalt in die Auswahl fremder und eigener Texte gelegt hat, möchte ich einen Teil davon abschließend zitieren:

Den Weg verloren.
Grenzenlos
der Acker im Schnee

(S. 26, Arno Herrmann)

Plötzlich verstummt
das Klavier nebenan.
Der Schnee

(S. 40, Hubertus Thum)

Schnee fällt
leise und leiser
die Vögel

(S. 40, Horst-Oliver Buchholz)

erster schnee
den ganzen morgen
kein wort

(S. 46, Hubertus Thum)

Draußen schneit’s wieder.
Er liest die Unterschriften
auf dem Gipsbein

(S. 56, Georges Hartmann)

Durch den Nadelwald
fressen sich Motorsägen
fürs heilige Fest

(S. 61, Georges Hartmann)

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