Demokratie im Feuer – Das Ergebnis

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Demokratie im Feuer

Ein Bericht des Koordinators Frank Sauer

Insgesamt beteiligten sich 29 Autorinnen und Autoren an dem vom Vorstand initiierten Aufruf im Sommergras 145. Einsendeschluss war der 31. August 2024. Es wurden 27 Haiku, 11 Tanka und 7 Haibun eingereicht.

Allen Einsendern und Einsenderinnen sei herzlich gedankt!

Die Jury bestand aus Horst-Oliver Buchholz, Eleonore Nickolay, Klaus-Dieter Wirth. Sie reichten selbst keine eigenen Texte ein. Es konnten pro Text von jedem Jurymitglied 0 bis 3 Punkte vergeben werden.

Das Ergebnis

Kategorie Haiku

6 Punkte

Migrantenhetze
unter Nachbarn
er fühlt sich fremd

Martin Berner

im Bücherschrank
neben dem Springbrunnen verstaubt
das Grundgesetz

Ruth Karoline Mieger

deine Hand sucht nach
meiner Hand auf dem Weg zur
Abstimmung

Peter Rudolf

5 Punkte

Worte züngeln
am Asylcontainer
Asche, Asche, Nacht*

*aus Paul Celan: Engführung

Claudia Brefeld

Demokratieverständnis
ihr Söhnchen quengelt
in der Wahlkabine

Wolfgang Rödig

wild fremd
im Austausch
Freunde

Frank Sauer

4 Punkte

Gegenmeinungen,
heiße Diskussionen.
Dann ein Händedruck.

Josef Graßmugg

Knistern und Rauschen
Leis verschwimmt die Umgebung
Wahlabendgrillen

Philipp Restetzki

Jedes Jahr wieder
Gedenktag zum Kriegsbeginn –
das treue Häuflein

Birgit Wendling

 

Kategorie Tanka

8 Punkte

im Keller
der KZ Gedenkstätte
wortlos
die Öfen des Verbrechens
sperren ihre Mäuler auf

Frank Sauer

6 Punkte

„Kopftuch-Mädchen!“
sprachliche Gewal
von rechts
die Jungfrau Maria neigt
das verhüllte Haupt

Gabriele Hartmann

5 Punkte

Bundestag
die Brandrede
beifallslos
von der Mehrheit
gelöscht

Friedrich Winzer

4 Punkte

Brandschaden
Dieses prächtige Gebäude
Hat schwer gelitten
Manche sind schon ausgezogen
Doch viele packen noch mit an

Thomas Wittek

 

Kategorie Haibun

8 Punkte

An der Bushaltestelle

Birgit Lockheimer

Mit einer Freundin habe ich mich an der Bushaltestelle vor dem Bürgerbüro verabredet, um gemeinsam an einer Demonstration gegen rechts teilzunehmen. Ich habe ein Pappschild gemalt: NIE WIEDER IST JETZT.

Als ich eintreffe, ist da schon jemand: Ein Obdachloser hat sich auf der langen, vor Regen geschützten Bank in seinen Schlafsack eingemummelt, sein Gesicht ist nicht zu erkennen.

akkurat
vor der Bank platziert
die Schuhe des Penners

Meine Freundin verspätet sich. Ich setze mich auf die Bank neben dem Mann im Schlafsack, das Schild vor mir auf dem Schoß. Dabei vermeide ich es bewusst, zu dem Obdachlosen auf Abstand zu gehen.

Eine Frau kommt vorbei, zögert kurz, tritt dann direkt auf mich zu und streckt mir ihre geschlossene Hand entgegen. Verwundert schaue ich zu ihr auf und frage sie, was sie möchte. Sie versteht offensichtlich kein Deutsch, schaut nun ihrerseits verwundert, schließlich dreht sie sich um und geht weiter. Langsam dämmert mir: Die Frau, die nicht lesen konnte, was auf meinem Schild steht, dachte wohl, der Obdachlose und ich gehören zusammen. Mit dem Blick einer Fremden sehe ich an mir hinunter.

5 Punkte

Nismas lila Muschelschale

Regine Beckmann

Schuljahresbeginn . Die Kinder erzählen, lachen und kreischen. Es ist sehr laut. Die Lehrerin stellt Nisma vor. Nisma kommt aus dem Sudan . Die Lehrerin schenkt ihr eine lila Muschelschale. Sie passt zu Nisma, ist wie sie, so zart und fein, meint die Lehrerin. Nisma lächelt. Die Kinder sollen nett zu ihr sein, Nisma hat viel erlebt. Auch nicht so Schönes, sagt die Lehrerin. Die Kinder sind nett. Sie fragen und reden. Ein bisschen versteht Nisma. Sie soll gleich mit in die Pause kommen. Nisma strahlt. Ein Mädchen fasst Nisma bei der Hand. Aber dann zuckt sie zurück. Nismas Hand ist ganz verdreht und schaut komisch aus. Die Kinder wissen nicht mehr, wohin sie gucken sollen. Zwei beginnen einen Streit. Sie schubsen und schlagen. Nisma zittert. Sie dreht sich weg. Ganz fest hält sie ihre lila Muschelschale.

Glockenton erklingt
Kinder strömen fröhlich fort
Muschelschale bricht

Bewachter Parkplatz

Frank Sauer

Auf dem Reichsparteitagsgelände sieht mich der Parkplatzwächter entrüstet an, als ich eine abwertende Bemerkung zu dem Mann mache, der dort oben auf dem Rednerpodest seine teuflischen Reden hielt und wie kein Zweiter mit seinen Anhängern Elend und Verderben über die Menschen brachte. Wie ich denn so von ihm sprechen könne, er sei doch ein gewählter Politiker gewesen, schimpft der Mann.

Mir verschlägt es kurz die Sprache, bevor ich ihn frage, ob denn ein Politiker ein Massenmörder sein dürfe. Der Mann antwortet nicht und wendet sich von mir ab an einem Ort, von dem aus das Grauen in die Welt getragen wurde.

im Gespräch
die Mauern im Kopf
überwinden

Grenzen im Kopf

Brigitte ten Brink

Die Sparkassenfiliale in unserem Dorf ist noch nicht den Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen. Als ich sie betrete steht eine Schlange vor dem einzigen Schalter, ganz vorne ein Flüchtlingsehepaar, welches in der Unterkunft im Ort Zuflucht gefunden hat. Es scheint Probleme auf Grund von Sprachschwierigkeiten zu geben. Die Erklärungen der Sparkassenangestellten werden nicht verstanden. Da dreht sich der vor mir in der Warteschlange stehende alte Herr um und äußert seinen Unmut über diese Situation: Ihm sei im Leben auch nichts geschenkt worden. Er musste sich seinen Lebensunterhalt selber erarbeiten und die kommen einfach hierher und stellen Ansprüche!

unantastbar
die Menschenwürde
ist angezählt

4 Punkte

Abendspaziergang

Udo Zielke

Ein schöner Spätsommerabend hatte mich zu einem kleinen Spaziergang verlockt. Durch die ruhige Kleingartenanlage gelangte ich an die Hauptstraße. Hier war eindeutig zu erkennen, dass der Wahlkampf begonnen hatte. Gleich an zwei Lichtmasten sah ich angelehnte Leitern. Auf beiden stand jemand, der sich anschickte, ein Plakat daran zu befestigen.

Als ich mich dem ersten Mast näherte, schien mir, dass die dortige Leiter zu schwanken begann. Ich erhöhte mein Lauftempo, um einen drohenden Unfall verhindern zu können. Drei Schritte vor dem Ziel erkannte ich, was für ein Plakat dort platziert werden sollte. Es gehörte zu einer Partei, die auch anerkannte Nazis in ihren Reihen duldet.

Mein Eifer zu helfen ebbte sofort ab. Ohne einzugreifen, ließ ich den Wahlkämpfer hinter mir. Die Faust in der Tasche geballt, setzte ich meinen Weg schneller fort als zuvor.

Die braunen Pflanzen
zu rupfen ist schwer
Es ist an der Zeit

 

Dank und Gratulation des DHG-Vorstandes

Eleonore Nickolay

Der DHG-Vorstand bedankt sich ganz herzlich bei allen, die sich an dem Wettbewerb beteiligt haben. Sie alle setzten mit Engagement und Herzblut ein Zeichen gegen vergiftete Diskurse, Gewalt und Ausgrenzung. Aufgabe der Jury war, den literarischen Aspekt in die Waagschale zu legen und zu beurteilen, inwieweit die Umsetzung den jeweiligen Kriterien des Haiku, Tanka und Haibun entsprach. Herzliche Gratulation an alle, die die Jury in diesem Sinne überzeugen konnten.

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