Es wurden insgesamt 235 Haiku und 65 Tanka von 96 Autorinnen und Autoren für diese Auswahl eingereicht. Einsendeschluss war der 15. Januar 2017. Diese Texte wurden vor Beginn der Auswahl von mir anonymisiert. Die Jury bestand aus Janette Bürkle, Gregor Graf und Simone K. Busch. Die Mitglieder der Auswahlgruppe reichten keine eigenen Texte ein.
Alle ausgewählten Texte – 31 Haiku und 2 Tanka – werden in alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen veröffentlicht. Es werden bis zu max. zwei Haiku und zwei Tanka pro Autor/-in aufgenommen.
„Ein Haiku/ein Tanka, das mich besonders anspricht“ – unter diesem Motto besteht für jedes Jurymitglied die Möglichkeit, bis zu drei Texte auszusuchen (noch anonymisiert), hier vorzustellen und zu kommentieren.

Der nächste Einsendeschluss für die Haiku/Tanka-Auswahl ist der 15. April 2017.

Jede/r Teilnehmer/in kann bis zu fünf Texte – davon drei Haiku – einreichen. Mit der Einsendung gibt der Autor/die Autorin das Einverständnis für eine mögliche Veröffentlichung auf http:/www.zugetextet.com/
Jedes Mitglied der DHG hat die Möglichkeit, eine Einsendung zu benennen, die bei Nichtberücksichtigung durch die Jury, auf einer eigenen Mitgliederseite veröffentlicht werden soll.
Eingereicht werden können nur bisher unveröffentlichte Texte (gilt auch für Veröffentlichungen in Blogs, Foren und Werkstätten etc.). Bitte keine Simultan-Einsendungen!
Ab jetzt gibt es auch die Möglichkeit, die Haiku/Tanka selbst einzutragen:
DHG- Webseite/Aktivitäten/Haiku-Tanka-Auswahl/Online-formular.
Oder bitte senden an: auswahlen@deutschehaikugesellschaft.de
Da die Jury sich aus wechselnden Teilnehmern zusammensetzen soll, möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich alle interessierten DHG Mitglieder einladen, als Jurymitglied bei kommenden Auswahl-Runden mitzuwirken.

Petra Klingl

 

Ein Haiku, das mich besonders anspricht

frostbeulen
im asphalt – das auto hoppelt
in den Frühling

Sylvia Bacher

Da hat der Autor drei Zeilen ausgesandt. Ich habe sie mit Vergnügen aufgefangen. Was war, wie konnte sich das Haiku an meinem Rockzipfel festklammern? Der Frühling reckt und streckt sich. Der Himmel ist blau, die Kirschbäume blühen, und ich stimme ein mit Mörike:

Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von Fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab ich vernommen!

Und da ist das Auto, ein alter Citroen 2CV, das Entchen, „Döschwo“ sagen wir Schweizer. Liebevoll gepflegt stand er den Winter über in der Remise. Aber heute wird er aus dem Schuppen geholt. Vor dem Haus stehen neun Pferdestärken für die erste Ausfahrt bereit, das Verdeck ist weit geöffnet. Vater, Mutter und zwei Kinder haben Platz genommen, der Picknickkorb ist verstaut, und los geht die Fahrt über alte Landstraßen. Der Winter hat Spuren hinterlassen, doch unser 2CV hoppelt, wie alte Hasen das eben können, leichthin drüber in unbestimmte lichte Weiten. Jaques Tati flimmert über die Leinwand: Mein Onkel – Die Ferien des Monsieur Hulot. Alles erzählt? Die Geschichte hat doch erst angefangen.

Ausgesucht und kommentiert von Gregor Graf

Im Sperrmüll
die erste Puppe
fristlos gekündigt

Ingrid Hassmann

Wie schade! Die erste „Trösterin“, die erste „Freundin“, das erste „sich um etwas kümmern“, einfach in den Sperrmüll entsorgt. Sie ist sperrig geworden, die erste Puppe, steht einem im Weg in das Erwachsenenalter. Haben vielleicht Freunde oder Eltern getuschelt : „Guck mal, die da spielt noch mit Puppen? Du bist doch schon viel zu groß für eine Puppe!“
Musste sie deshalb auf den Sperrmüll?
Ist es ein endgültiges Loslassen der eigenen Kinderzeit?
Und ist es ein sich Loslösen von alten Zöpfen?
Den Weg frei machen für etwas Neues?
Das fristlose Kündigen ist ganz sicher auf einen Sinneswandel zurückzuführen, der aber ja nicht bedeuten muss: nicht stehen bleiben, nicht fraglos verharren. Sondern man kann laufen, sich bewegen, geistig spazieren, um einen neuen Standpunkt zu finden.
In diesem Haiku versteckt sich in meinen Augen ein „endlich“. Endlich habe ich mit der alten Zeit abgeschlossen. Endgültig! Fristlos!
Dieser Sinneswandel beinhaltet Bereitschaft, etwas zu verändern, in Bewegung zu bleiben, bereit sein für Flexibilität und durch eigene Erfahrungen sich weiter zu entwickeln. Und deshalb nicht nur „schade!“, sondern auch: Auf! Auf! Eine neue Ära beginnt!

Ausgesucht und kommentiert von Janette Bürkle

Verkehrsinsel.
Durch Löcher einer Radkappe
wächst neues Grün.

Volker Friebel

Eine Insel im allgegenwärtigen (Lebens-)Verkehr. Sei es auf Straßen, Ozeanen, im Himmelsraum oder im Alltag. Und dort liegt, aus der Hektik des Lebens (des Verkehrs) herausgeschleudert, eine „Radkappe“, ähnlich einem Ufo, das aus dem Universum angeflogen seinen Landeplatz auf einer [verkehrsinsel ] findet; im Grunde genommen zum Rosten verurteilt und nicht weiter beachtenswert. Während um die Insel herum weiterhin Berufsverkehr, Urlaubsverkehr, Schulverkehr, Sightseeingverkehr usw. durch Feinstaub pendelt, schiebt sich nach einer gewissen Zeit auf der Insel durch die Radkappenöffnungen neues Grün, neues Leben. In die obig erste Flüchtigkeit des Moments etabliert sich plötzlich ein Schutzgebiet, eine Insel auf einer Insel. Unter der Radkappe sowie [durch (die) löcher einer radkappe] entsteht ein Biotop, neuer Lebensraum.
R. M. Rilke mag hier etwas weit hergeholt sein, doch fällt mir eine Zeile aus seinem wunderbaren Gedicht ein „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn […]“; die Suche und Hoffnung nach Weiter-Leben hört nie auf.
Schon in der griechischen Mythologie wird eine „Insel der Seligen“ beschrieben, sie ist bekannt unter dem Namen „Elysion“.
Dorthin, forderte Horaz, ein römischer Dichter, sollten die römischen Bürger auswandern, um einem nicht endenden Bürgerkrieg zu entfliehen. Sie sei „ arva beata […], divites et insulas“: „glückselige Gefilde […] und reiche Inseln“.
Eine beunruhigende Parallele zur heutigen Zeit, denke ich an flüchtende Menschen auf der Suche nach „einer Insel“, um dort zukunftsorientiert in Frieden zu leben.
[…]Die Offenheit der Bilder, ihr Nachklang und der Verzicht des Verfassers auf Deutungen und Reflexionen schaffen Raum für die Assoziationen des Lesers.[…]
zitiert aus: „Gräser am Wegrand“ Charakterisierung des Haiku von Volker Friebel auf www.Haiku-heute.de.
Das ist mit diesem Haiku sehr gut gelungen!

Ausgesucht und kommentiert von Janette Bürkle

Was ist Haiku für mich? Ein kurzes, gegenwärtiges Gedicht, das durch Nebeneinanderstellung zweier Bilder oder Elemente einen Raum füllt, der schwer mit Worten beschrieben werden kann, der uns aber tief berührt und dadurch weit über das Gesagte hinausreicht. Bestenfalls gelingt es dem Autor oder der Autorin, etwas Neues in das Gedicht einzubringen, ein neues Thema z. B. oder eine neue Sichtweise auf ein Thema. Was für den Leser oder die Leserin neu oder berührend ist, hängt natürlich mit dem individuellen Erfahrungsschatz und der gegenwärtigen Lebenssituation zusammen. Vor diesem Hintergrund haben mich die folgenden beiden Mond-Haiku in dieser Auswahl besonders angesprochen:

Dreiviertelmond
den Rest des Weges
alleine gehen

Eleonore Nickolay

In diesem Haiku kann ich zwei Ebenen sehen. In der ersten, der gegenwärtigen Ebene, machen mehrere Menschen abends einen Spaziergang im Mondschein. Für den Rest des Weges müssen sie sich voneinander trennen, und das lyrische Ich geht allein bis zum Ziel weiter.
In der zweiten – über das Geschriebene hinausreichenden – Ebene sehe ich das Lyrische Ich im Herbst ihres/seines Lebens. Nahestehende Menschen sind fortgegangen, sind vielleicht gestorben und können das lyrische Ich daher im letzten Lebensviertel nicht mehr begleiten. Durch die geschickte Juxtaposition von ‚Dreiviertelmond‘ und ‚Rest des Weges‘ bleibt für mich unausgesprochen, dass das Ziel bei Vollmond erreicht sein wird. Den Tod dabei mit Fülle gleichzusetzen, finde ich überraschend und tröstlich zugleich. Für mich ein gelungenes Haiku.

Ausgesucht und kommentiert von Simone K. Busch

Nach dem Konzert
das Echo des Mondlichts
im Schnee

Heinz Schneemann

Was ist ‚das Echo des Mondlichts‘, frage ich mich und empfinde diese Formulierung als geheimnisvoll und treffend, ohne dass ich sofort eine Erklärung parat habe. Ein Echo entsteht, wenn Reflexionen einer Schallwelle so stark verzögert sind, dass man diesen Schall als separates Hörereignis wahrnehmen kann. Und wie ist es mit dem Mondlicht? Der Mond reflektiert das Sonnenlicht. Müsste dann nicht das Echo des Sonnenlichts im Schnee zu sehen sein? Eine Physikerin könnte hier gewiss noch tiefer schürfen und treffendere Antworten finden. Da ich aber keine bin, gehen meine Gedanken weiter zum Schnee. Mondlicht lässt Schnee wie von selbst hell leuchten. Also vermute ich, dass die Konzerterfahrung des lyrischen Ichs sehr intensiv gewesen sein muss. Mit den vielen dunklen Tönen gefällt mir das Haiku auch klanglich, und der Rhythmus in Zeile zwei und drei lässt bei mir ein Bild von gemächlich achtsamem Schreiten entstehen. Für mich ein gelungenes Haiku.

Ausgesucht und kommentiert von Simone K. Busch

 

Die Auswahl
15 Punkte konnten erreicht werden

Besuch bei den Eltern –
rauche wieder
heimlich unten am Fluss

Klemens Antusch
10 Punkte

frostbeulen
im asphalt – das auto hoppelt
in den Frühling

Sylvia Bacher
8 Punkte

Wintermorgen
der Bach hinter dem Haus
hält den Atem an

Christoph Blumentrath
12 Punkte

unten im Tal
Hochzeitsglocken
öffnen den Tag

Christoph Blumentrath
9 Punkte

Pfirsichblüten
zwischen den alten Knochen
der Rebstöcke

Gerd Börner
7 Punkte

Verkehrsinsel.
Durch Löcher einer Radkappe
wächst neues Grün.

Volker Friebel
8 Punkte

Kirschblüten!
Der alte Mann schwingt leicht
seinen Stock

Volker Friebel
7 Punkte

Enteignung
im gefällten Baum
ein Vogelnest

Hans-Jürgen Göhrung
8 Punkte

Heimat
einer ließ
das Licht an

Gabriele Hartmann
11 Punkte

Im Sperrmüll
die erste Puppe
fristlos gekündigt

Ingrid Hassmann
9 Punkte

Schneetreiben
Schafe auf kargen Weiden
kauen Kälte

Margarete Hihn
13 Punkte

Früher Abend
noch kauert der Kleine Hund
in der Milchstraße

Margarete Hihn
7 Punkte

wilder Mohn
noch einmal der Duft
unserer Berührungen

Anke Holtz
10 Punkte

Frostnacht
das lange Erstarren
tiefer Spuren

Anke Holtz
7 Punkte

Armer Jungreiher
Mehr noch als der Hunger schmerzt
Das Gelächter der Kois

Deborah Karl-Brandt
8 Punkte

Dämmerstunde –
behutsam säubert Vater
den mitgebrachten Fisch

Kordelia Klein
10 Punkte

Adventsmarkt
das kleine Mädchen ganz vertieft
in eine Schneekugel

Kordelia Klein
9 Punkte

Mitternachtskonzert
eine Galaxie
aus Smartphones

Elisabeth Kleineheismann
11 Punkte

Parkeisenbahn
eine Runde mit dem Kind
in mir

Gérard Krebs
14 Punkte

Die zittrige Signatur
auf ihrem Dokument
tiefer Winter

Gérard Krebs
9 Punkte

Brachland –
ich lerne die Sprache
der Krähen

Eva Limbach
14 Punkte

Evakuierung
ich bücke mich nach einem
leeren Schneckenhaus

Eva Limbach
11 Punkte

Vogelzug
die alte Dorfschule
nun dem Erdboden gleich

Ramona Linke
8 Punkte

Trauerfeier
durch den Türspalt schlüpfen
Sonnenstrahlen

Ruth Karoline Mieger
11 Punkte

Dreiviertelmond
den Rest des Weges
alleine gehen

Eleonore Nickolay
11 Punkte

rückenschwimmen
sanft plätschern
die Wolken

René Possél
11 Punkte

ein Sommerloch mehr
der Motten im Norweger
Winterpullover

Peter Rudolf
7 Punkte

Zerbrochene Feder
Hoch in der Dichterkammer
Papierfetzenschnee

Elisabeth S. Schlief
8 Punkte

schnell hingeblättert
die neue herbstkollektion
alles wie immer

Fried Schmidt
8 Punkte

Nach dem Konzert
das Echo des Mondlichts
im Schnee

Heinz Schneemann
8 Punkte

erfroren
nahe der grenze –
ein vogelruf

Helga Stania
12 Punkte

der alte Kirschbaum
zwischen Blüte und Frucht
kaum zu ertragen
unsere grüne Tochter
mit geschminkten Lippen

Gabriele Hartmann
11 Punkte

weit nach Mitternacht
bei der alten Nachbarin
immer noch Licht
auf meinem Tisch
die Beileidskarte

Brigitte ten Brink
9 Punkte

 

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