† Carola Matthiesen

*11.2.1937 – Gestorben 21.12.2014

Ruth Franke rezensiert einen Text von Carola Matthiesen:

In die Flussweide
– zur Hälfte eingewachsen –
ein Suppenlöffel

An den Ufern von Flüssen und Seen kann man oft alte Weiden mit bizarren Formen entdecken. Aus den Wunden, die Natur oder Mensch ihnen geschlagen haben, entstehen manchmal im Laufe der Verwitterung richtige Gesichter. Der obige Text, der ein ungewöhnliches Bild zeichnet, hat mich deshalb sofort angesprochen. Bei der Vorstellung, dass ein Suppenlöffel zur Hälfte in eine Flussweide eingewachsen ist, sehe ich in meiner Phantasie eine Märchen-Weide, die sprechen kann und dem Betrachter Schätze verheißt, wenn er ihr Geheimnis löst. Wie dieser Löffel in der Weide steckt – ob in einer Öffnung (alte Weiden sind oft hohl) oder mit dem Stiel in der Rinde – wird nicht gesagt. Wie er hineingekommen ist – vielleicht durch den Übermut spielender Kinder oder als Überbleibsel eines Picknicks – bleibt rätselhaft. Die Weide jedenfalls hat diese Verletzung auf ihre Art bewältigt. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ein Baum Menschenwerk auf diese Weise „vereinnahmt“. Im Schwarzwald zum Beispiel gibt es eine Sehenswürdigkeit, den „Balzer Herrgott“.

Hier ist eine Christusfigur im Laufe von vielen Jahren so in den Stamm hineingewachsen, dass jetzt nur noch der Kopf aus der Rinde herausschaut. Wer diese Zeilen geschrieben hat, geht mit offenen Augen durch die Welt und sieht auch das Ungewöhnliche. Der unmittelbare Eindruck ist prägnant in 17 Silben gefasst, ohne überflüssige Schnörkel. Ob man auf die Satzzeichen nicht ganz verzichten könnte und in der ersten Zeile vielleicht „In der Flussweide“ schreiben sollte, ist Ansichtssache. Es wird ein anschauliches Bild vermittelt, das auch zum Schmunzeln anregen kann, und dabei eine Spannung aufgebaut, die sich durch den Überraschungseffekt in der dritten Zeile löst. Auf jeden Fall ist hier ein gutes Haiku entstanden, das zwar ein Ereignis in der Natur zum Gegenstand hat, aber auch den Konflikt Mensch-Umwelt andeutet. Es kommentiert nicht, sondern lässt dem Leser Raum für eigene Vorstellungen und regt zum Nachdenken an.

Text entnommen: Vierteljahreszeitschrift der DHG Nr. 72, 2003, S. 37.

Biografisches

Nach dem Besuch der Schule und der Ausbildung als Erzieherin übte Carola Matthiesen kurzfristig den erlernten Beruf der Kindergärtnerin aus. Es folgte eine Weiterbildung mit Schwerpunkt Literatur. Im Jahr 1954 heiratete sie, drei Jahre später wurde ihr Sohn geboren. In der Zeit von 1971 bis 1987 war Carola Matthiesen erst stellvertretende Leiterin und danach Leiterin der Stadtbibliothek Meschede. Sie starb am 29. April 2015 und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Südfriedhof in der Steinstraße in Meschede.

https://de.wikipedia.org/wiki/Carola_Matthiesen

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