Georges Hartmann & Gabriele Hartmann – bon-say-verlag

Buchstabensalat & Leseraum

Erscheinungsjahr: 2020

2020, bon-say-verlag, 44 Seiten, 22 farbige Abbildungen, 10 €, derzeit nur direkt im Verlags beziehen

Inhalt:

Weitere Informationen

Textproben, Inhaltsverzeichnisse, Bibliographische Angaben, Bezugsquellen (Nicht alle Elemente gleichzeitig vorhanden)

ein Doppelbuch mit Haiku, Haiga & Haibun von Georges & Gabriele Hartmann
der Clou: Dieses Buch fängt zweimal von vorne an
Doppelbuch, Ringbindung, 2 x 22 Seiten mit 22 farbigen Abbildungen
Ein Leckerbissen!

Erscheinungsjahr: 2020

Rezension

Rezension Rüdiger Jung

Ein wahrhaft janusköpfiges Werk. Blättere ich von der einen Seite bis zur Buchmitte, befinde ich mich in Gabrieles „Leseraum“. Drehe ich das Buch um 180 Grad, bewirtet mich Georges mit „Buchstabensalat“.

BUCHSTABENSALAT
Der „Buchstabensalat“ von Georges kommt bescheiden daher, man sollte sich davon nicht blenden lassen: Es geht um vitaminreiche Kost, Vitamin B wie „Basho“ und Empathie für die Mitkreatur.

die Amsel badet
im plätschernden Dorfbrunnen
gern tät ich ihr’s gleich (S. 5)

Er muss mit keinem Wort erwähnt werden – der „gewurmte“ Verlierer – und hat doch unser volles Mitgefühl:

Tauziehen im Gras
und wieder fliegt die Amsel
als Sieger vom Platz (S. 11)

Günter Kunert schreibt in einem seiner Gedichte von fliegenden Fischen, die weggeworfen werden wegen fehlenden Gesangs. Auf einer Ebene damit schreibt Georges:

die Kunden enttäuscht
der fliegende Teppich
ohne Navi (S. 12)

Liebe zu zeigen hat manchmal die Zeit zum Feind:

Jetzt, da du fort bist
sind die Rosen voll erblüht
wollt’s dir noch zeigen (S. 17)
Solange die Natur die menschlichen Zeugnisse überdauert, liegt darin ein verhaltener Trost:

die Heckenrosen
am stillgelegten Bahngleis
blühn wie jedes Jahr (S. 20)

Am stärksten scheinen mir Georges Hartmanns Haiku immer wieder da, wo sie Verlassenheit bezeugen, die Wehmut des Vergänglichen evozieren:

Nach dem Saison-Schluss
bespielt den Minigolf-Platz
ganz allein der Wind (S. 5)

Das kleine Pappschild
an der Tür zum Eis-Salon
schimmert im Herbstlicht (S. 18)

Schneeflocken tanzen
doch der Schlitten im Keller
kennt nur noch den Staub (S. 21)

Um den Haiku-Dichter Georges Hartmann zu beschreiben, ist dieser Aspekt freilich nur „die halbe Miete“. Es gibt da noch eine andere Seite von geradezu taoistischer Gleichmut:

In der Sonnenglut
stört sich der Hund vorm Haustor
nicht an der Katze (S. 10)

Der Nebel mag eine Realität sein; undurchdringlich ist er nicht:

Im dichten Nebel
hör ich das helle Lachen
spielender Kinder (S. 17)

Kein Handicap, aus dem sich nicht – selbst noch im Winter – etwas machen ließe:

Draußen schneit’s wieder
er liest die Unterschriften
auf dem Gipsbein (S. 21)

LESERAUM
Es muss nicht die Flucht vor Regen sein, die mich in den „Leseraum“ führt – auch wenn das titelgebende Haiga auf Seite 2 diese Möglichkeit nahelegt. Zu entdecken gibt es da allemal viel – von der so schlichten wie tiefgründigen Momentaufnahme:

Drehorgelspiel
tief in unseren Taschen
die Hände (S. 11)

bis zur rückhaltlosen Introspektion:

Vorhaltungen
die Lust an einem alten Stich
zu kratzen (S. 14)

Die „graue Vorstadt“ erzwingt geradezu das Misreading „graue Vorzeit“, wo die Enge von früher verräumlicht und geradezu verstörend gegenwärtig scheint:

graue Vorstadt
die Sünde
neuer Schuhe (S. 14)

„alter Teich“ ist mehr als nur Reminiszenz an Basho; ein berühmtes Märchen der Brüder Grimm erhält überdies eine zweite Chance:

alter Teich …
noch einmal werfe ich
die goldne Kugel (S. 12)

An die Zen-Wurzel der Haiku-Dichtung, MU als „Erwachen vor der Tatsache“ gemahnt mich:

Spannung
die Leinwand schnurrt
zusammen (S. 11)

Scheinbare Verlegenheit, scheinbares Scheitern erweist sich in Wirklichkeit als ein Geschenk des Gelingens:

kaue am Pinsel
der Versuch Stille zu malen
bleibt Schnee (S. 13)

Meisterschaft ist zumal den Haibun zuzusprechen. „Kölnisch Wasser“ dreht sich nicht um Parfum, sondern um hochprozentige Getränke und ihr Gefahrenpotential. Inmitten von Sprüchen, die verharmlosen, einschläfern, bagatellisieren, werden zwei Untersetzer auf halbvollen Gläsern zum Bekenntnisakt, der – das abschliessende Haiku legt es nahe – zu zweit leichter zu leisten ist:

Rheinterrassen
gegen den Strom
zwei Fische (S. 19)

„Fastenzeit“ (S. 7) ist für mich schon jetzt – und nicht nur der Reminiszenz an Camus halber – DAS Haibun der Corona-Pandemie.

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