„Unbeachtet am Wegrand“, Gabriele Hartmann und Dagmar Westphal, Frühlings-Kasen,
Erscheinungsjahr: 2017
Rezension
Rezension Rüdiger Jung
In den Anfängen der Deutschen Haiku-Gesellschaft waren Kasen keine Seltenheit. Carl Heinz Kurz war im deutschsprachigen Raum der Mentor der Gattung, später haben zumal Margret Buerschaper und Ingrid Gretenkort-Singert nicht selten Regie geführt. Dagmar Westphal hat schon mit verschiedenen Ko-Autoren die Klingen zur Kasen-Dichtung gekreuzt, darunter Georges Hartmann und dem Autor dieser Zeilen. Gemeinsam mit Gabriele Hartmann legt sie nun in deren bon-say-verlag den Frühlingskasen „Unbeachtet am Wegrand“ vor. Den Ko-Autorinnen korrespondiert ein unterschiedliches Schriftbild, die Verse sind nicht nummeriert, die Themenvorschriften der einzelnen Verse der abschließenden Legende zu entnehmen: alles Entscheidungen, die eine durchgängige Lektüre erheblich erleichtern.
Der Dritte Satz, erster Teil, beginnt sehr stimmungsvoll:
Bunte Markisen –
der Eisverkäufer zurück
aus Italien
DW
alte Jalousie … lausche
dem Summen einer Vespa
GH
Ich zitiere Einzelverse der beiden Autorinnen von großer atmosphärischer Dichte:
Herbsttrompeten erklingen
beim Quellstein jener dunkle Ton
GH, Ouvertüre
im Gras liegen … schauen wie
das Wolkenkuckucksheim wächst
DW, Zweiter Satz, zweiter Teil
zu zweit um den See –
schau nur die Haubentaucher
fassen sich ein Herz
DW, Dritter Satz, erster Teil
weiße Azaleen
neben der Tafel … ihr Kreischen
beim Buchstaben A
GH‚ Epilog
Zeitgeschichte fließt ein:
glänzende Augen
Schulabgänger polierenv
die Stolpersteine
Dritter Satz, zweiter Teil; einer der beiden Verse Dagmar Westphals‚ die für die zweite Auflage überarbeitet wurden. Schließen möchte ich mit einer der mir eindrücklichsten Sequenzen, dem Beginn vom Zweiten Satz, erster Teil; einer offenen Meditation darüber, was Worte vermögen:
Verliert sich wieder
meine Sehnsucht nach Worten
im dichten Nebel
GH
ist etwas da, das mich trägt
und mich hält, wenn ich falle –
DW