… das halbe Leben. Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum suchen. Zwischen diesen beiden Weltanschauungen stehen wir mit unseren Zetteln, Notizblöcken und anderen exotischen Papierformaten. Die Texte darauf, was wird mit den Texten ? Da ich nie weiß, wann und wo ich von der Muse geküsst werde, habe ich, fast überall, schmale Notizblöcke geparkt. In Jacken, im Offshore-Blazer, im Pilotkoffer, in der Ernte 23 – Schachtel, in Angelkiepen, in Schubladen im Esszimmer, im Nachtschränkchen, in der Auto-Seitentasche etc., etc.. Sicher können Sie noch einige bemerkenswerte Deponien dazu aufzählen. Im Raum Rhein-Main sollen tatsächlich Haikuisten beobachtet worden sein, die bewaffnet mit Kolleg-Blöcken – nein, sie gingen nicht Tauben morden im Park – zu Dichtungsherstellungstreffen eilten. Können Sie sich so etwas vorstellen ?
Offener Seele
silbengewordener Kuss –
ein neues Haiku
Kuß der Muse, Adrenalinausschüttung, Synapsen klappern, Hoffen und Bangen.
Kurz gesagt: unsere gesamte Neurobiologie ist in Aktion. Streichen. Ändern. Umstellen. Neue Ausdrücke. Man nennt so etwas einen „kreativen Prozess“. Die überarbeiteten Zettel stehen dann expressionistischen Strichzeichnungen in der Wucht des Ausdruckes nicht nach. Ich habe schon überlegt, sie als solche zu verkaufen.
Und wenigsten ein „bildender Künstler“ zu werden. Für das Großformat 9×9 cm müßten mindestens 50 Euro drin sein.
Es folgt die Periode der Reifung, der Abkühlung. Auch ein Likör bedarf mehrerer Wochen der Ruhe, um sein Bukett harmonisch zu vollenden. Mein Depot ist die Nachtischschublade.
„Fährst empor aus schweren Träumen, brauchst nicht lange säumen.
Hurre, hurre Kugelschreiber.
Trapp, trapp, trapp,
der Pegasus warf Silben ab.“
Erschöpft sinke ich dann wieder in Morpheus` Arme.
Ist so im Laufe der Wochen eine gewisse erforderliche Reifung der Kurzgedanken erfolgt, sozusagen zum Dreizeiler vor Kritikern, muß die Ernte in die Scheuer eingefahren werden. Unter Verwendung eines Füllhalters, blaue Tinte adelt, Lampenlicht und Sake, erfolgt die vorläufige Niederschrift in den „Gesammelten Werken“. Nur so können wir unser kostbares kulturelles Welterbe erhalten. Entsprechend den Verpflichtungen, die wir als „Second Hand Mitglieder“ der UNESCO eingegangen sind (siehe Zeitschrift, Innenseite Deckel oben). Ordnung muss sein !